Professionelles Arbeiten – Welche Entwicklungen gibt es beim Fachkräftebedarf?

Fachkräftemangel! Das Schreckgespenst unserer Branche treibt weiterhin sein Unwesen. Auch im Rahmen der Berlinale 2024 wurde das Thema beim Netzwerkforum „Umbruch und Wandel in der Filmbranche“ der ZAV-Künstlervermittlung für Filmschaffende hinter der Kamera intensiv beleuchtet. Auf der Podiumsdiskussion am 19. Februar 2024 im großen Theatersaal der ufaFabrik Berlin Tempelhof wurde speziell auf die Themen „Familienfreundliches Drehen“, „Initiativen gegen Fachkräfte- und Nachwuchsmangel“ oder „KI in der Filmproduktion“ eingegangen. Filmwerkstatt Vorstand Martin Blankemeyer, der sich seit langem für einen nachhaltigen Umgang mit dem Thema Fachkräftemangel einsetzt, hat bereits im letzten Jahr in einem Gastbeitrag für black box – Filmpolitischer Informationsdienst aufgeschrieben und aufgezeigt, was getan werden muss, um den Fachkräftebedarf in der Film- und TV-Branche nachhaltig zu sichern (nachzulesen unter www.muenchner-filmwerkstatt.de/2023/06/fachkraeftemangel-was-ist-zu-tun).

Auf dem Netzwerkforum der ZAV, das in Zusammenarbeit mit Casting Network statt gefunden hat, hat Martin Blankemeyer in seinem Impulsvortrag noch einmal aufgezeigt, wo und wie Maßnahmen erfolgen müssen und was sich seit dem letzten Jahr bereits getan hat. Der Vortrag ist auf dem Youtube-Channel der ZAV – Filmschaffendeunter unter www.youtube.com/watch?v=TUjudeVTdRA&t=354s anzusehen.

Impulsvortrag von Filmwerkstatt-Vorstand Martin Blankemeyer

Wer die ganze Veranstaltung nachsehen möchte, kann das unter www.youtube.com/channel/UCEzPXy6UvGKcSh7eZ0r2eDQ, .

Das Manuskript zu Martin Blankemeyers Vortrag ist hier folgend nachzulesen (es gilt das gesprochene Wort):
Die Direktmarketingleute träumen nicht erst seit Big Data von der Auflösung der Zielgruppen und wollen stattdessen jeden einzeln individuell adressieren, als “segment of one”. Generative KI schafft womöglich die technischen Voraussetzungen, dies auch für Bewegtbildmedien wahr werden zu lassen – statt gemeinsam die gleichen Filme in Kino und TV schauen wir irgendwann vielleicht einen individuell in Echtzeit für uns erstellten Stream, bei dem Algorithmen vorhersagen, was wir gerne schauen, Sprachmodelle von Generativen vortrainierten Transformern wie ChatGPT Plots und Dialoge schreiben, generative KI wie Sora täuschend echte Bildwelten generieren, durch die dank Deep Fakes unsere Lieblingsschauspieler*innen wandern. Irgendwo hab ich gelesen: früher hätten wir davon geträumt, dass wir malen und Gedichte schreiben, während ein Roboter unsere Wohnung putzt. Heute blicken wir erstaunt auf eine Welt, in der wir weiter putzen, während Roboter malen und Gedichte schreiben. So haben wir uns die Zukunft nicht vorgestellt.

Irgendwie bin ich trotzdem optimistisch. Film und Kino sind durch technische Innovationen erst möglich geworden und unterliegen seit ihrem Beginn laufend technischem Wandel. Vor rund zwanzig Jahren haben digitale Speichermedien das Zelluloid abgelöst – dadurch sind unter dem Strich eher mehr Jobs entstanden als weggefallen. Jedenfalls sind die Abspänne der Filme seither eher länger geworden. Was es bei dieser, wie allen kommenden Innovationen aber wieder brauchen wird, ist Qualifizierung. Filmschaffende, die die neuen Technologien kennen und beherrschen.

Qualifizierung ist auch ein Schlüssel, um die aktuelle Marktdelle zu überstehen. Warner, Sky, Paramount, Sat.1, Pro7, Degeto, Telekom, Joyn – die Liste der Outlets, die in den vergangenen Monaten Kürzungen oder gar den Ausstieg aus deutscher Fiction bekanntgegeben haben, ist lang. Damit ist der Boom der vergangenen Jahre irgendwie erstmal zu Ende, 2024 wird ein schlechtes Jahr, und wenn Ihr mich fragt, 2025 wird eher noch schlechter. Aber es sind nicht die Qualifizierten, die jetzt keine Beschäftigung finden. Und wer jetzt Zeit hat, könnte und sollte diese nutzen, um sich zu qualifizieren, um dabei zu sein, wenn es wieder losgeht.

Von Klaus Schaefer, dem ehemalischen Filmförderchef in Bayern hab ich mal die Formel gelernt, das Erstausbildung Aufgabe des Staates und Weiterbildung Aufgabe der Industrie ist. An sich habe ich nichts gegen diese Formel, aber man muss anerkennen, dass unsere Industrie dabei komplett versagt. Klar, wenn man den Fokus auf die wenigen Großunternehmen unserer Branche richtet, dann können die das: Constantin, Ufa, Leonine, Bavaria und die drei anderen in der Liga. Und die machen auch eine tolle Lobbyarbeit und werden daher von der Politik gehört und gesehen. Aber der Eindruck, der dadurch entsteht, ist halt überhaupt nicht repräsentativ für die Mehrheit unserer Branche. Die allermeisten Filmfirmen bestehen nur aus einer Handvoll Leute, und schwellen nur ein, zweimal im Jahr kurzzeitig auf über 100 Personen an, nämlich wenn sie drehen und “auf Produktionsdauer” einen Stab anheuern. Und diese ganzen Freischaffenden Nomaden, die von Produktion zu Produktion ziehen, sind das Rückgrat unserer Branche. Um die ging es, als in den letzten Jahren von Fachkräftemangel die Rede war. Und die fallen hinten runter, wenn die Weiterbildung den Unternehmen überlassen wird, denn niemand investiert in eine Mitarbeiterin oder einen Mitarbeiter, der nur einen befristeten Vertrag hat und der das Unternehmen in ein paar Tagen verlassen wird.

Letztes Jahr hab ich in einem Gastbeitrag für Blackbox Filminfo zusammenzufassen versucht, was in Sachen Weiterbildung passieren müsste, um das Thema strukturell und nachhaltig zu lösen. Das läßt sich zu sechs Forderungen zusammenfassen:

  1. Wir brauchen branchenweit einheitliche Berufsbilder
  2. Wir brauchen staatliche Abschlüsse für diese Berufsbilder
  3. Wir brauchen flexible und modulare Bildungsangebote, die auf diese Abschlüsse vorbereiten
  4. Wir brauchen eine automatische finanzielle Unterstützung für Filmschaffende, die solche Abschlüsse angehen
  5. Wir brauchen Breiten- statt Spitzenförderung für den Nachwuchs
  6. Wir brauchen Medienbildung in den Schulen

Ich will jetzt nicht im Einzelnen nochmal herleiten, wie ich zu diesen Vorschlägen komme, aber wer da irgendwo zweifelt, darf mich gerne ansprechen.

Wenn man sich jetzt anschaut, was bisher passiert ist, dann sieht man, das vor dem Hintergrund des heftigen Fachkräftemangels der letzten Jahre vieles angegangen wurde.

  1. Der bundesweite Arbeitskreis Fachkräfte-Strategie, der sich morgen wieder trifft, arbeitet an den Berufsbildern. Organisiert wird das von Denise Grduszak, die für das beim Erich-Pommer-Institut angesiedelten Media Collective tätig ist und die ja nachher hier auf dem freien Stuhl Platz nehmen wird
  2. Die IHK München bringt öffentlich-rechtliche Fortbildungsprüfungen für Aufnahmeleiter*innen und Filmgeschäftsführer*innen auf den Weg – das ist ein kluges Konzept, das perfekt zu unserer Branche passt, dezentral und unaufwändig – und ich hoffe, es liefert damit ein Vorbild auch für andere Regionen der Republik und auch für weitere Berufsbilder 
  3. Es sind vielfach Modellprojekte entstanden, die der Tatsache Rechnung tragen, dass nicht nur Drehbuch, Regie, Kamera und Produktion eine fundierte Ausbildung brauchen, sondern auch die Mannschaften dahinter, daneben und davor.
  4. Die Initiative Angstessenkinoauf ist eine laute Stimme in unserer Branche, die sich u.a. für automatische Förderung auch, und gerade beim Nachwuchs einsetzt.
  5. Und auch zum Thema Medienbildung, zur Bekanntheit unserer Berufe bei jungen Menschen, gibt es vielfach Initiativen und Veranstaltungen.

Haben Sie es gemerkt? Das sind von den vorgenannten sechs nur fünf Punkte. Was fehlt, ist eine auf große Breite angelegte Finanzierung von Weiterbildung. Darüber diskutiert niemand, es liegen keine Vorschläge auf dem Tisch. Einfach Totenstille. Nichts. Nada. Niente.

So kann eine nachhaltige Fachkräftestrategie für unsere Branche nicht funktionieren. Ich will in diesem Zusammenhang zum Abschluß zwei Anekdoten erzählen, die ich dazu symptomatisch finde. 

ANEKDOTE 1: Ich habe die ersten sieben Jahre meiner Laufbahn quasi ausschließlich beim ZDF gearbeitet, in sehr kurz befristeten Verträgen für einzelne Produktionen. Gearbeitet habe ich eine Menge, und wenn man 110 Tage in einem Jahr beisammen hatte, hatte man einen Urlaubsanspruch, der ausgezahlt wurde. Den Urlaubsantrag musste man dann einem Produktionsleiter vorlegen, und der hatte durch seine Unterschrift dann die gesamten Kosten meines Jahresurlaubs auf seiner Produktion. Klar fand der das blöd, daß er das alleine bezahlen sollte und das das nicht auf alle Produktionen, für die ich gearbeitet hatte, umgelegt wurde – das wäre gerechter gewesen.

ANEKDOTE 2: Es gab im deutschen Filmförderungsgesetz mal eine kleine Weiterbildungsförderung, die war ziemlich clever konstruiert. Förderung direkt für jeden Filmschaffenden, der credits bei einem Kinoprojekt hatte. Offen für alle möglichen Maßnahmen, so dass man dort individuelle Weiterbildungspläne einreichen und unterstützt bekommen konnte. Und mit 5.000 Euro nicht knausrig. So ähnlich stelle ich mir auch in Zukunft eine perfekte Weiterbildungsförderung vor. Nur ist die Förderung der FFA 2012 dann aus dem FFG verschwunden – warum? Fand sie jemand schlecht, hatte sie irgendwo Gegner? Ich kenne keinen. Es war nur mal wieder so, daß die verschiedenen Interessengruppen, von den Autor*innen über die Produzent*innen bis zu den Verleiher*innen, alle mehr Geld wollten und das musste irgendwo herkommen – und dann hat man die Weiterbildungsförderung geopfert, weil sich niemand dagegen gewehrt hat. Sie hatte keine Lobby, und das hat sich bis heute nicht geändert.

Jetzt liegt ein Referentenentwurf für ein neues FFG auf dem Tisch, mit klugen Ideen wie einem Steueranreizmodel und einer Investitionsverpflichtung für die Verwerter. Kein Wort steht da zu Weiterbildung, keine Idee zur strukturierten Lösung des Fachkräftebedarfs für die Zukunft. Ist das Aufgabe der FFA, muss das ins FFG? Nicht unbedingt – aber irgendjemandes Aufgabe muß es schon sein. Und wenn man die FFA zur zentralen Filmanstalt ausbauen will, dann gehört auch die Verantwortung für die Weiterbildungsumlage dorthin. Ohne eine solche Umlage kann ich mir eine nachhaltige Sicherung des Fachkräftebedarfs unserer Branche nicht vorstellen. Den vielen guten Initiativen zu allen anderen Fragen fehlt ein zentraler Baustein, um funktionieren zu können, und wenn sich das nicht ändert, bleibt uns weiter nichts als strategieloses Wursteln.